Vom Scheitern

Scheitern?!! Wat will der denn jetzt?! – In einem Blog, das im Untertitel auf Start-ups verweist, einen Artikel ausgerechnet übers Scheitern zu bringen, das klingt ein bisschen seltsam.

Aber keine Bange, ich werde Sie weder mit seelsorgerischer Problemwälzerei noch mit larmoyanter Nabelschau behelligen. Ich bin nur schlicht der Auffassung, dass Scheitern ein Thema ist, das für Gründer ähnlich wichtig ist wie Finanzierung oder Marketing.

Zunächst einmal ist Scheitern nichts Anrüchiges. Scheitern kann nur, wer etwas gewagt hat. Je passiver ich bin, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ich so richtig vor die Wand laufe. Umgekehrt sagt die bloße Feststellung, dass einer noch nie eine Niederlage hat einstecken müssen, für sich noch gar nichts über Größe und Können dieser Person aus. Sagen wir mal so: ein Stück Torte hat auch eine makellose Bilanz, was das Scheitern angeht. Zu diskutieren wäre höchstens, ob es am Ende eine Niederlage der Torte ist, wenn sie gegessen wird – oder wenn sie verschmäht wird …

Aber entschuldigen Sie, ich schweife ab.

Too Cool to Fail Ich behaupte, dass Gründer sich also mit dem Scheitern auseinandersetzen sollten. Seltsam klingt das ja nur deshalb, weil das Scheitern mit einem Tabu belegt ist. Wir sprechen nicht darüber. Und wir möchten auch ungern andere darüber sprechen hören. Wir wissen von schlimmen „Lücken“ oder vermeintlichen Makeln im Lebenslauf, und allzu normal scheint es zu sein, dass bei Personalentscheidungen tatsächlich der geradlinige und unfallfreie Lebenslauf als der bessere betrachtet und vorgezogen wird.

Und da sind wir bei dem, worum es mir geht. Bei diesem blödsinnigen Gleichsetzen von Scheitern mit Versagen, mit Schwäche, mit Dummheit. Wenn wir uns umschauen und auch uns selbst einmal beäugen, dann sehen wir, dass wir alle uns permanent als Gewinner darstellen. Oder es zumindest versuchen. Die Phrase „Alles gut“, die sich in den letzten Monaten als fragende oder bestätigende Floskel rasant verbreitet hat, mag sinnbildlich dafür stehen. Wir sind ein Heer von Gewinnern, immer lächelnd, strahlend, positiv. Ganz besonders in der Web-Branche. Und wir alle wissen natürlich ganz genau, dass das nicht stimmt.

Ich scheitere, also bin ich! Scheitern gehört dazu! Leben und Schaffen ist ständig von Scheitern begleitet. Beziehungen können zerbrechen, Schulabschlüsse und Fahrschulprüfungen können misslingen, Zeichnungen oder Texte können danebengehen, Urteile und Diagnosen sich als falsch herausstellen, Investitionen in die Binsen gehen, politische Entscheidungen das Gegenteil des Beabsichtigten hervorbringen. Die Alternative wäre entweder die Züchtung des unfehlbaren Menschen (vielleicht „veredelt“ mit IT-Gadgets) oder aber, wie eingangs gesagt, der Verzicht auf Aktivität und Kreativität.

Wenn Sie jetzt „Binsenweisheit!“ rufen, dann sind wir eigentlich schon dort, wo ich hinwollte: Es sollte ganz normal sein, dass uns Dinge auch misslingen können und dass wir dann damit offen umgehen. Das heißt ja nicht, dass wir uns nun für jeden kleinen Fehlschlag tagelang öffentlich klagend auf die Brust schlagen oder uns ständig gegenseitig jede Schlappe gestehen und sie in Gesprächskreisen wiederkäuen. Es gibt einen Mittelweg zwischen vorbehaltloser Selbstentblößung und eisernem Verschweigen, wie wir ihn zum Beispiel schaffen, wenn wir krank sind. Das halten wir ja auch weder als etwas Beschämendes geheim noch teilen wir es nun penetrant aller Welt mit.

Nun sag, wie hast du’s mit dem Scheitern? Für Gründer hat ein offener Umgang mit dem Scheitern zwei Perspektiven, die beide wichtig sind.

Zum einen ist es keine schlechte Idee, beim Kopfsprung ins unternehmerische Wagnis das Szenario eines Fehlschlags auch durchzuspielen. Das soll nicht bremsen und entmutigen. Ganz im Gegenteil: wer das Risiko sehr genau kennt, auf das er sich einlässt, und wer weiß, dass und wie es im Falle eines Misserfolgs weitergeht, der ist viel gelassener und kann sich ganz auf die anstehenden Aufgaben konzentrieren. Und vor allem: auch Krisenmomente ohne aufkommende Panik überstehen.

Zum anderen ist es für Gründer, ganz besonders für solche, die ihr erstes Unternehmen aufziehen, enorm ermutigend und gleichzeitig lehrreich, vom Scheitern anderer Gründer zu erfahren. Zu hören, worüber sie gestolpert sind, was sie als Gegenmaßnahmen versucht haben, wie sie das Ende ihrer Unternehmung gehandhabt und wie sie anschließend weitergemacht haben, und auch zu hören, dass man sich durchaus niedergeschlagen fühlen und Scheiße schreien darf und nicht den stets souveränen Stoiker spielen muss – das alles ist ungemein wertvoll.

Was im übrigen die Betroffenen angeht, so sollten wir auch nicht übersehen, dass ihnen ein offener Umgang mit ihrem Scheitern nicht nur Erleichterung verschafft, sondern auch bei der Analyse des Fehlschlags hilft. Die meisten von uns werden das kennen, dass wir ein Problem erst richtig und vollständig erfassen, wenn wir es jemand anderem beschreiben.

Schacka! Es spricht alles gegen den – im übrigen quälend laaangweiligen – Mummenschanz der allgegenwärtigen Dauergewinner und Ewiglächler. Diese Verstellerei bringt nichts, kostet aber einiges. Wenn wir auf den Web-Bereich blicken, so stünden uns da ein paar Lockerungsübungen gut an. Und es würde auch gar nicht so wahnsinnig viel Überwindung dazugehören. Immerhin handelt es sich bei Fehlschlägen in unserer Branche für gewöhnlich „nur“ um finanzielle Schäden und ein paar Kratzer am Prestige. Wir sollten nicht vergessen, dass es in anderen Sparten um ungleich gewichtigere Risiken geht, sogar bei Nicht-Selbständigen: denken wir an die Chirurgin, von deren Einschätzung und Leistung Gesundheit und Leben von Menschen abhängen, oder an den Ingenieur, der Brücken auf Schäden und Belastbarkeit prüft.

Wer weiß, vielleicht führt ein Enttabuisieren des Scheiterns ja auch dazu, dass wieder mehr junge und nicht so junge Menschen etwas wagen, unternehmerisch, als Künstler, als Publizisten. Vielleicht kommt dann irgendwann ja auch mal eine erfolgreiche Web-Neuheit nicht aus den USA, wo man, soweit ich weiß, nämlich seit jeher beim Gescheiterten immer den Versuch schätzt, etwas aus eigenem Antrieb aufzubauen.

Der einsame Rufer in der Wüste bin ich mit dem Thema glücklicherweise nicht. (Ich wäre auch viel zu bequem für so einen Job.) Blog-Betreiber Guido wies mich auf die vielleicht etwas unglücklich benannten „FuckUp“-Veranstaltungen hin, in denen es genau darum geht: Gründer präsentieren ihre Fehlschläge, und das auch noch möglichst unterhaltsam.

Das ist doch was!

My two cents.

Andreas Dölling